Storck – Steinhausener Wald in Halle/Westfalen (Kreis Gütersloh) besetzt

Camila Cirlini

Die Baumbesetzer:innen sind zum links ausgerichtete, autonome Naturschützer:innen, sind aber auch teilweise auch bei  Extinction Rebellion, Ende Gelände und Fridays for Future organisiert. Eine Mahnwache von Fridays for Future aus Halle vor dem Wald hält seit Beginn der Proteste Tag und Nacht die Stellung. Ortsansässige Vereine und Menschen haben Essens-, Sach- und Geldspenden vorbeigebracht, gebacken und gekocht. Interesse und Zuspruch aus der Anwohnerschaft sind riesig groß. Als ich am ersten Tag dort war habe ich viele Gespräche geführt und auch mit der Mutter eines Baumbesetzers gesprochen und war beeindruckt von ihrem positiven Umgang mit dem konsequenten Handeln ihres Sohnes. Die Waldbesetzer:innen haben sich in schwindelerregende Höhen begeben und sich auf 20 - 30 Meter verschanzt. Die Seile sind so angeordnet, würde eines durchtrennt, könnte ein Mensch oder sogar mehrere zu Boden fallen. Die Baumbesetzer:innen schlafen in Hängematten, die sich nicht viel weiter darunter befinden. Zusätzlich wurden Barrikaden an verschiedenen Zugängen des Waldes errichtet, diese sind ebenfalls mit Menschen besetzt, die sich im Inneren dieser Barrikaden befinden.

Der Wald wurde schon mehrfach abgewertet. Durch den vor ein paar Jahren durchgedrückten Bau der A33 wurden große Teile des Waldes bereits gerodet. Lebensräume der Waldtiere wurden zerstört und durchtrennt, was für die Tiere nicht selten den Tod bedeutet – spätestens dann, wenn sie über die Straße wollen, um in ein Gebiet zu ziehen, das eigentlich mal ihr Revier war. Die zweite Abwertung erfolgte im vergangenen Jahr durch den Bau einer Stromtrasse mitten in und durch den Wald. Diese beiden Eingriffe werden von den Befürwortern der Baumrodungen auch noch als Argument genutzt, den Wald weiter zerstören zu können. Frei nach dem Motto, der Wald ist ja schon so dezimiert, dann können wir den Rest ja auch noch platt machen.

Es handelt sich um eine Fläche von 22 Hektar Wald. In der letzten Februarwoche sollten die Rodungsarbeiten im Wald beginnen, denn ab dem 01.03. gilt das Rodungsverbot zum Schutz der Bruttiere. Die ersten 80 Bäume fallen, um eine Verlegung des dort im Wald befindlichen Laibaches zu ermöglichen, welcher zu Gunsten der geplanten Bebauung verlegt werden soll. Der Bach liegt dort, wo das Bürogebäude gebaut werden soll und soll deshalb nach Wunsch des Storck-Konzernes aufwendig umgebettet werden. Storck möchte den Bach nicht in der Nähe des feinen Bürokomplexes haben. Man fürchtet wohl einen Nagetierangriff - so heißt es. Der Bach soll also renaturiert werden und für diese heldenhafte Tat bekommt Storck sogar noch Ökopunkte. Die betroffenen 80 Bäume wurden von den Waldbesetzer:innen mit Kreuzen markiert und jeder von Ihnen hat einen liebevollen Namen erhalten. Zwei Teiche, die sich ebenfalls im Wald befinden sollen verfüllt werden: mit anderen Worten sie werden zugeschüttet und an anderer Stelle soll dann renaturiert werden. Was mit Wasservögeln, Fledermäusen, Amphibien und den anderen Tieren, die hier leben während der Rodungs- und Bauarbeiten passiert, interessiert niemanden in der Stadtverwaltung.

Eine Artenschutzrechtliche Prüfung sagt aus, dass im Wald und an den Gewässern 14 verschiedene Fledermausarten festgestellt wurden und diverse gefährdete Vogelarten. Jede Fledermausart unterliegt einem strengen Schutz: Es ist verboten laut Bundesnaturschutzgesetz §7 Abs.2 Nr. 13 Und 14 Fledermäuse zu fangen, zu töten oder ihr Habitat zu zerstören. Im Paragraphen 44 sind diese Verbote einzeln aufgeführt. Des Weiteren wird der Umgang mit Fledermäusen von der Berner Konvention, dem Abkommen zur Erhaltung der Fledermäuse in Europa (EUROBATS) und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie auch bekannt als FFH-Richtlinie geregelt.

Unter den von den Baumaßnahmen betroffenen Fledermausarten im Steinhausener Wald in Halle stehen in NRW auf der roten Liste als „stark gefährdet“ eingestuft die Bechsteinfledermaus, die Breitflügelfledermaus und die Große Bartfledermaus. Als „gefährdet“ sind eingestuft das Braune Langohr, welches nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte und die Kleine Bartfledermaus. In der Kategorie “Gefährdung anzunehmen, Status unbekannt“ reiht sich die Teichfledermaus ein. Auf der „Vorwarnliste“ stehen drei Arten, die im Steinhausener Wald leben: der Große Abendsegler, das Braune Langohr und der Kleine Abendsegler. Durch „extreme Seltenheit“ gefährdet ist die im Wald lebende Rauhautfledermaus. „Gefährdungsstatus nicht bekannt“ gilt für den Status der Mückenfledermaus, die im Steinhausener Wald zuhause ist. Bei der Teichfledermaus sowie der Wasserfledermaus ist der „Gefährdungsstatus anzunehmen“.

Ein Wald ist immer ein Lebensraum für zahllose Tiere. In jedem Wald leben Insekten, große und kleine Krabbeltiere, Mäuse, Eichhörnchen, Kaninchen, Hasen, Füchse und Rehe. Zahllose Vogelarten wurden im Steinhausener Wald nachgewiesen. Einige sind als „gefährdet“ und „stark gefährdet“ eingestuft: Eisvogel, Sperber, Star, Turmfalke, Waldschnepfe und Wespenbussard. Ein großer Teil dieser Vögel sind Brutvögel. Sie benötigen Brutstätten wie Bäume um den Bestand ihrer Art zu sichern.

Es wurde bei den Amphibien die Geburtshelferkröte nachgewiesen, die in NRW als stark gefährdet gilt. Meiner Meinung nach muss man davon ausgehen, dass es dort nicht nur eine Amphibien-Art gibt. An und im dem sich dort befindlichen See und dem Bach kann man von weiteren Amphibien wie zum Beispiel Molchen ausgehen. Die Amphibien-Prüfung und auch die ornitologische Prüfung ist meiner Meinung nach nicht ausreichend intensiviert worden.

Am 24. Februar riefen die Aktivist:innen zu einer Demo gegen das geplante Vorhaben auf. Die Demo ging vom Wald direkt zum Ort der Sitzung des Stadtrates. Von zunächst 30 Aktivist:innen wuchs die Menge auf ca. 80 bis 100 Teilnehmer:innen an, Bürger:innen und Passant:innen beteiligten sich. Zuvor hatte die Stadt Halle bereits eine Hundertschaft angefordert. 150 Polizeikräfte beteiligten den Demonstrationszug zur Sitzung des Stadtrates, das waren mindestens 149 zu viel. Ein Polizist hätte für die friedliche Demo definitiv gereicht.

Das Erweiterungsvorhaben der Firma Storck sollte vom Rat der Stadt Halle in Form des Flächennutzungsplanes abgesegnet werden. Bürgermeister Tappe gestattet mir eine Frage an den Rat zu richten, obschon ich keine Haller Bürgerin bin, aber so wie er sagte eine Sachfrage habe. Nachdem ich erläutert habe, welche Schäden durch eine Rodung verursacht werden können, fragte ich den Bürgermeister nach der gesetzlichen Grundlage, auf welcher er die Rodung des Waldes durchsetzen möchte. Die Antwort war einfach: „Das weiß ich so nicht aus dem Kopf. Ich habe da Hausrecht.“
Der Rat stimmte für den Flächennutzungsplan; 34 Mitglieder des Rates stimmten zu. Nur fünf von zehn Grünen stimmten dagegen.

Tags zuvor hatte der Bürgermeister Trappe in der Aktuellen Stunde des WDR verlautbart, dass maximal 200 oder 400 Arbeitsplätze entstehen könnten; aber dass man aber aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage keine Garantie auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze geben kann. Storck hatte ein Interview mit dem WDR abgelehnt. Bürgermeister Trappe fühlte sich sichtbar wohl in der Rolle des Sprechers des Nimm-Zwei-Konzernes. Für garantierte Null Arbeitsplätze soll hier also dieser Rundumschlag passieren. Die Bürger:innen wurden wortwörtlich an der Nase herumgeführt, denn 2017 wurde über die Presse bekannt, dass der Süßwaren-Riese Storck 1.700 durch diese Erweiterung schaffen würde.

Bürgermeister Trappe hatte es sich außerdem nicht nehmen lassen, mit einem Megaphone in den Wald zu gehen und den Aktivis ein Ultimatum auszusprechen. Der laut gepriesen Dialog war ein Monolog von Trappe, der sich in einer 30 Minutigen Redezeit über den Wald ergoss. Er hörte den Klimaaktivist:innen weder zu, noch ließ er sie zu Wort kommen. Zusammengefasst: wenn er wolle könne er sich eine Sondergenehmigung beschaffen und dann würden die Bäume auch während der Schonzeit gefällt, das sei für ihn das geringste Problem. Im Wald erzählten man sich der Landrat des Kreises Gütersloh Sven-Georg Adenauer würde Trappe wohl im Nacken sitzen und auf eine Räumung des Waldes drängen. Die Presse gab ihren Rest dazu und stellte die friedlichen Baumbesetzer:innen in die radikale Randalierer-Ecke.

In der Nacht vor Ablauf des Ultimatums fiel den Waldbesetzer:innen ein verdächtiges Fahrzeug auf, das mehrfach mit zugeklebtem Nummernschild auf- und abfuhr. Gegen 1 Uhr nachts passierte es dann. Zwei Männer kamen mit einer Kettensäge in den Wald, beschimpften die Aktivist:innen, rissen rechte Parolen und fällten einen Baum in der Nähe der in den Bäumen schlafenden Menschen. Die Polizei konnte die beiden Männer aus Versmold später dingfest machen und beschlagnahmte die Kettensäge.

Am Morgen danach war ich bereits um 5 Uhr im Wald, denn wir rechneten mit dem Beginn der zuvor angekündigten Räumung. Nach Sonnenaufgang fuhr auch verstärkt Polizei durch die Straßen und Räumungsfahrzeuge wie Hubarbeitsbühnen und kleinere Krane wurden auf Schleppern in die Stadt gebracht und möglicherweise irgendwo in der Nähe (vielleicht auf dem Storck-Gelände) abgestellt. Aber die angekündigte Räumung blieb aus. Im späteren Verlauf des Tages gab der Bürgermeister über die Presse bekannt, dass man auf die Räumung verzichten wolle, um „weitere Gewalttaten“ zu verhindern. Die rechten Baumfäller haben mit Ihrem Anschlag also mit dafür gesorgt, dass auf die Räumung verzichtet wurde. Außerdem fürchtet sich Storck vor einem Image-Schaden.

Die Aktivist:innen haben am 28.02. mit Beginn der Schonzeit angefangen gemeinsam mit den Anwohner:innen die Barrikaden zunächst teilweise zurückzubauen. Der Kampf um diesen Wald ist jedoch nicht vorbei, spätestens im Herbst, wenn die Schon- und Setzzeit endet, werden Rodungsarbeiten wieder erlaubt sein.

Dateien